Männergesangverein Dötlingen von 1889

Aus der Vereinsgeschichte

Ungezählte Vereine beklagen die Vernichtung historischer Akten in. folge der schrecklichen Ereignisse des zweiten Weltkrieges. Zu ihnen zählt auch der MGV Dötlingen. So sind wir heute vornehmlich auf die Aufzeichnungen angewiesen, die der im Jahre 1960 verstorbene Schriftführer Willi Muhle nach dem Kriege mit großer Sorgfalt arg gefertigt hat. Die Arbeit Muhles erfuhr durch Schriftführer Horst Schütte eine gewisse Fortsetzung. Als eine sehr wertvolle Fundgrube erwiesen sich daneben die ausführlichen Berichte der "Wildeshauser Zeitung".
Nach den Ausführungen Willi Muhles wird kaum ein Chor auf eine so romantisch anmutende Entstehung zurückblicken können wie der unsrige:
Im Sommer des Dreikaiserjahres 1888 langte hier in Dötlingen ein junger, flotter Wandergeselle von 24 Jahren an, der Stellmacher Anton Stamm aus Hessen, welcher auf der Wanderschaft bereits Deutschland und Osterreich?Ungarn kennergelernt hatte. An einem schönen, warmen Sommerabend des folgenden Jahres spazierte unser Anton einmal durchs Dorf, um Ausschau nach den Dötlinger Mädchen zu halten und sang dabei aus voller Brust das volkstümliche Lied "Drauß ist alles so prächtig". Der Organist Meyer, der kurz vorher, im Frühjahr 1889, von Wildeshausen nach hier versetzt war und Hauptlehrer Renken abgelöst hatte, stand mit seiner langen Pfeife in der großen Haustür und hörte sich den Gesang an. Er schien ihm zu gefallen und hielt den Burschen an, fragte ihn, ob er nicht Lust hätte, einen Gesangverein mit gründen zu helfen. Unser Anton Stamm war natürlich von diesem Vorschlag begeistert. Da er nun schon ein Jahr hier war und vom Beruf her die meisten jungen Leute kannte, setzten sich die beiden zusammen und stellten eine Liste auf von jungen Männern, die nach ihrer Meinung wohl musikalisch und stimmbegabt waren. Diese erste Liste enthielt 16 Namen. Bis zum Herbst hatte er die Unterschriften zusammen, so dass am 31.Oktober 1889 die erste Gründungsversammlung und zugleich der erste Singabend in der Gastwirtschaft von Bäcker Stolle, heute "Schützenhof", stattfinden konnte. Es wurde ein Vorstand von drei Mann gewählt, der sich aus dem Liedervater, dem Dirigenten sowie dem Schrift? und Kassenführer in einer Person zusammensetzte. Als erstes Lied wurde an diesem Abend die Volksweise " Es scheinen die Sternlein so hell" eingeübt.

Da nun Anton Stamm als ein sehr tüchtiger Laienspieler einige geeignete junge Sangesbrüder und junge Mädchen zu einer Theatergruppe zusammenstellte, hatte unser Verein bei jeder Veranstaltung ein übervolles Haus und daher auch glänzende Einnahmen. Ein Übelstand stellte sich bei dem Unternehmen heraus, es gab im Dorf noch keine Spar? und Darlehnskasse. Da diese erst 1896 gegründet wurde, befand sich in den ersten Jahren das Bankkonto des Vereins in der Westentasche des Kassierers, und dass er deswegen nach den Singabenden starken Angriffen ausgesetzt war, ist selbstverständlich. Da er selbst etwas 'feucht veranlagt' war, hatte er nicht die erforderliche Abwehrkraft, um sich dagegen zur Wehr zu setzen.
Wegen dieser Zustände entstanden Spannungen im Verein, die sich früher her oder später entladen mussten. Bei der dritten Generalversammlung fand die Explosion statt: Der Oppositionsführer Hermann Losecke stellte sich mit der Mehrzahl der Sangesbrüder gegen den Vorstand, der nun bei der Neuwahl hinweggefegt wurde.


Der Chor um die Jahrhundertwende
Der Chor um die Jahrhundertwende
Bis in die jüngste Vergangenheit galt diesen Aufzeichnungen zufolge der 31. Oktober 1889 als Gründungsdatum des Vereins.
Bei der Beschaffung gesicherter Unterlagen anlässlich der Bewerbung um die Zelterplakette musste man zur Kenntnis nehmen, dass das Gründungsdatum nicht ganz stimmen kann: Erst zum l0.November lud der Verein zur "Bildung eines Gesangvereins in Dötlingen" ein. Der erste Singabend fand nach der gleichen Quelle, der "Wildeshauser Zeitung", am 23.November statt: "Die Mitglieder und solche, die es werden wollen, haben sich pünktlich einzufinden".

Nach alter Tradition aber feiert unser Chor stets am 31.Oktober, zusammen mit der Generalversammlung. seine Gründung. In einer Zeitungsnotiz vom 17.Dezember 1889 wird berichtet, "dass der hier vor einiger Zeit gegründete Gesangverein jetzt schon 25 aktive Mitglieder zählt". Bei der Aufnahme neuer Mitglieder ging der Vorstand in jener Zeit sehr kritisch vor; sie war verbunden mit dem Ergebnis einer Wahl. Doch bereits vor dieser Wahl hing es vom Gutachten des Vorstandes ab, ob ein Bewerber zugelassen wurde. Im eigentlichen Aufnahmeverfahren verwendete man als billige "Stimmzettel" Naturalien, nämlich Erbsen und Bohnen, von denen jedem Mitglied je ein Exemplar ausgehändigt wurde. Es soll die Zahl der Erbsen gewesen sein, die über eine Aufnahme entschied.
Dieser Brauch hielt sich bis zum Neuanfang nach 1945. Mit der Erweiterung seines Liederschatzes stellte sich der Chor in den Mittelpunkt des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens in seinem Heimatdorf. Er beteiligte sich u.a. bei der Einweihung des neuen Friedhofes auf dem Walschen Kamp im Jahr 1897, er wirkte 1913 mit bei der Einweihung des Krieger?Ehrenmals von 1870/71 auf dem Kirchplatz und sang auch bei den damals alljährlich stattfindenden Missionsfesten der Kirche. Zusammen mit den Vereinen "Eintracht Brettorf, "Harmonia Luerte, " Frohsinn Neerstedt" und "Liedertafel Wildeshausen" hob unser Verein am 16. November 1908 in Beneke's Gasthof in Wildeshausen den Sängerbund "Liederkranz" aus der Taufe. Ihm schlossen sich 1909 auch "Euphonia Wildeshausen", im Jahr 1925 MGV "Bahnhof Dötlingen" und 1927 "Einigkeit Wildeshausen" an. Das im steten Wechsel jährlich stattfindende Bundesfest wurde zum ersten Male in Dötlingen am 29. Juni 1913 abgehalten. Der Sängerbund "Liederkranz" bestand bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Nachdem noch im ersten Kriegsjahr (1914) ein Bundesfest veranstaltet werden konnte, kam das Vereinsleben ab 1915 zum Erliegen. Wegen der 1945 vernichteten Mitgliederlisten läßt sich heute nicht mehr feststellen, das gilt bedauerlicherweise auch für den zweiten Weltkrieg, welche Sangesbrüder im Krieg 1914 ? 1918 den Tod fanden.
Die erste Generalversammlung nach dem Kriege wurde am 2. November 1919 angesetzt. Zu Weihnachten des gleichen Jahres entstand der bis in die Gegenwart geübte Brauch, am zweiten Festtag einen Sängerball aufzuziehen. Von 1920 bis 1939 feierte der Chor zusätzlich alljährlich den sogen. Gesellschaftsabend, das Stiftungsfest, zuerst allein, ab 1929 in Gemeinschaft mit dem gemischten Chor Dötlingen, dem MGV "Bahnhof Dötlingen" und teilweise auch mit dem Chor aus Brettorf.

Am 24./25.Juni 1939 beging unser Verein in "festlicher Weise unter stärkster Beteiligung der Einwohner Dötlingens und der Umgebung" ("Wildeshauser Zeitung") im Saal der Gastwirtschaft Wichmann, heute" Schützenhof", das Jubiläumsfest aus Anlass des 50jährigen Bestehens. Der "Kreisführer" des DSB verlieh dem Chor und den noch lebenden Gründern, Anton Stamm, Heinrich Meyer/Busch, Heinrich Rüdebusch, die Ehrenurkunden.

Obwohl mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten versucht wurde, die verschiedensten Vereine "gleichzuschalten", um sie weltanschaulich auf die Ziele des neuen Regimes auszurichten, war der Einfluss auf die Auswahl des Liedgutes, die vom Chorleiter getroffen wurde, gering; das zeigen einige Konzertprogramme. Natürlich beteiligte sich der Chor an nationalen Feierstunden, doch stand im Mittelpunkt der Chorarbeit weiterhin das überlieferte und auch in neuen Sätzen veröffentlichte Lied. Zu verzeichnen ist das vermehrte Einstudieren alter Landsknecht und Soldatenlieder sowie Lieder zum Lobe der Heimat.
Als "Anbrechen einer neuen Ära" wird in den Aufzeichnungen die im Jahr 1934 beginnende Chorleitertätigkeit des Hauptlehrers Meinert Behrens aus Dötlingen gekennzeichnet. Mit dem "neuen Stil" meint man die Abkehr vom alten "Liedertafelstil" mit den z.T. veralteten, unzeitgemäßen Chorsätzen und Hinwendung zum modernen Chorlied seiner Wegbereiter, wie Hensel, Jöde, Knab u.a. Meinert Behrens sollte den Chor, nun vom zweiten Weltkrieg unterbrochen,44 Jahre leiten.

Wieder legte ein Krieg den Verein lahm.

Der erste Singabend nach dem Zusammenbruch ließ auf sich warten. Vereine waren verboten, das Vereinslokal durch Beschuss sehr beschädigt. Der Wirt hatte außerdem die Glasscheiben des Notenschrankes zweckentfremdet, Bilder und Noten waren teilweise abhanden gekommen. So hat denn ein Singabend im alten Vereinslokal nicht mehr stattgefunden. Aus Verärgerung zog der Verein in das Gasthaus von H. Ahrens um, heute "Dötlinger Hof".


Zum 31. Oktober 1946 konnte endlich zur ersten Generalversammlung einberufen werden. Von nun an ging es mit dem Verein wieder bergauf. Lücken, die der Krieg unter den Mitgliedern gerissen hatte, wurden aus der großen Zahl der Flüchtlinge und Vertriebenen ausgefüllt. Es offenbarte sich ein großer Nachholbedarf für Festlichkeiten und Vergnügungen. Sogen. Kameradschaftsabende, bei denen Liedvorträge mit Sketchen und Tanz bei vereinseigener Musik abwechselten, vervollständigten die Befriedigung des Wunsches nach Lustbarkeit in schwerer Zeit. 1947 fand ein Vereinsausflug statt; er führte in die Wesermarsch und wurde nach der Naturalwährung jener Zeit mit 100 kg Hafer, einer der Kopfzahl entsprechenden Anzahl Eier und je fünf Reichsmark bezahlt. Unvergessen bleiben den älteren Sangesbrüdern zwei Maskenbälle, Bordfeste genannt, bei denen der Verein den Saal in Schiffsdecks verwandelte und eine feuchte Äquatortaufe vollzog.

Der Chor um 1950
Der Chor um 1950


In beiden Dötlinger Sälen feierte der Chor das 60jährige Bestehen. Das Chorkonzert fand hinter der damals noch vorhandenen Schulbaracke auf dem Moikowschen Grundstück bei der Dötlinger Mühle statt (18. Juni 1950).
Am 23.Juli des gleichen Jahres beteiligte sich der Chor mit einem eigenen Liedvortrag am Bundessängerfest in Vechta. Willi Muhle, Gustav Orth, Meinert Behrens und Horst Wichmann reisten vier Tage später nach Mainz, um am Deutschen Sängerfest teilzunehmen.

1954 gab sich der Verein eine Satzung. 1955 wurde der aus Altersgründen zurückgetretene Vorsitzende Willi Stolle durch den jungen, einsatzfreudigen Hans Pacholke ersetzt. ln den fünfziger Jahren war der Verein in der glücklichen Lage, bei Verhinderung des Chorleiters auf drei Vertreter zurückgreifen zu können, nämlich Reinhold Mittmann, Horst Wichmann und Horst Hopp; letzterer zeichnete sich auch als Sprecher wegen seiner geschliffenen Ansprachen aus. Im Jahre 1960 schlossen sich zum zweiten Male die benachbarten Chorgemeinschaften zusammen und begründeten die Kreisgruppe "Huntetal" im Oldenburger Sängerbund. Es gehören dazu der GCh "Eintracht Brettorf" , die beiden Dötlinger Chöre, der MGV "Bahnhof" Dötlingen (1970 eingegangen), der GCh aus Varenesch, der MGV "Euphonia" Wildeshausen, Frauenchor Wildeshausen und MGV "Liedertafel" Wildeshausen. Nach der ungeschriebenen Satzung treffen sich diese Vereine etwa alle zwei Jahre und feiern gemeinsam an wechselnden Orten ein Sommerfest mit einem Chorkonzert, in der Regel im Freien.Die erste dieser Veranstaltungen fand aus Anlass des 70 jährigen Bestehens unseres Chores in Dötlingen statt (10.7.1960). Als Festplatz dient hier seitdem das Gelände unter hohen Buchen im sogen. Pastorenwald bei der Dötlinger Kirche. In jüngster Zeit schuf sich dort der Verein eine Naturbühne; auch wurde fast das gesamte Grundstück mit jungen Buchen aufgeforstet.

300 Sängerinnen und Sänger versammelten sich am 14. Juni 1964 im "fahnenübersäten" Dötlingen, um in Anwesenheit des Präsidenten des OSB, Wilhelm Warntjes, das 75.Jubiläum unseres Vereins zu feiern. Für 40 jährige Mitgliedschaft wurden Reinhard Bunn, Louis Hesselmann, Kurt Pawlikowski und Willi Voß geehrt. Mit der Weihe unserer neuen Vereinsfahne, die eigentlich schon 1939 beschafft werden sollte, erreichten die Festlichkeiten einen Höhepunkt.

Der Chor im Jahr 1963
Der Chor im Jahr 1963


In diesen Jahren endete leider die Zusammenarbeit mit dem Kinder -und Jugendchor, den Meinert Behrens nach dem Kriege aufgebaut und zu beachtlichen Leistungen geführt hatte. Mit der Beseitigung des alten Schulsystems, der Zentralisation in Schulzentren, wurde den Lehrern, die auch als Dirigenten tätig waren, die schöne Möglichkeit, genommen, die jungen Menschen kontinuierlich aus den Chören der Schulen in die Vereinschöre überwechseln zu lassen.

Die Höhepunkte der musikalischen Jahresarbeit unseres Vereins waren die seit 1957 stets am zweiten Weihnachtsfeiertag stattfindenden Konzerte mit dem sich an schließenden Festball. Sie wurden vom gemischten Chor Dötlingen unterstützt und mit Klavier-, Flöte- und Akkordeonvorträgen, teilweise auch mit Darbietungen des Posaunenchores, bereichert.

Im Rahmen seiner kulturellen Verpflichtungen trägt der Chor alljährlich bei zur Gestaltung der Erntedankfeier und Feierstunde am Volkstrauertag. Allein oder (früher) mit dem Bund der Vertriebenen dem GCh und Bürger- und Heimatverein organisierte er Heimatfeiern. Der Chor sieht es als selbstverständlich an, das plattdeutsche Liedgut zu pflegen, in Altersheimen und bei 90. Geburtstagen im Dorf zu singen. 1973 und 1974 nahmen wir am "Plattdütschen Chorleedersingen" in Bremen- Vegesack teil. Zu einem Kirchenchor in Ulrum/ Niederlande ist eine lose Verbindung hergestellt worden. Erwünscht ist die Mitwirkung des Chores bei allen Jubiläumsfesten der ortsansässigen Vereine, Einweihungen und beim Adventssingen in der Kirche.

Im Jahre 1978 legte Chorleiter Meinert Behrens sein Amt endgültig nieder. Es wurde von Konrektor Horst Wichmann aus Dötlingen übernommen; er setzt die Arbeit seines Vorgängers nach Inhalt und Form fort.
Der letzte Wechsel in der Vereinleitung erfolgte 1981. Nach verdienstvoller 26jähriger Tätigkeit wurde Hans Pacholke von Meinert Behrens jun. abgelöst.

Möge unsere von der Lust am Chorgesang begeisterte Schar in diesem Jubiläumsjahr frohgemut in die Zukunft blicken - auch in der Hoffnung, dass sich in Dötlingen immer wieder junge Männer finden, die entstehende Lücken auffüllen, zur eigenen Freude und der ihrer Mitmenschen.